Facebook ist ein interessantes Medium. Es zeigt mir manchmal unaufgefordert Dinge in irgendwelchen Gruppen, über die ich im Normalfall nie gestolpert wäre. Heute war es das Bild einer Frau mit Hirsutismus – also extremer Körperbehaarung – in einer Facebook-Lesbengruppe. Ein beeindruckendes Bild, nicht etwa weil diese Frau außergewöhnlich aussieht, sondern weil sie außergewöhnlich strahlend in die Kamera lächelt. Zu sehen ist eine auffällige Achsel- und Beinbehaarung, die zwar in keinster Weise meinem persönlichen Geschmack entspricht; aber auch ein wunderschönes Gesicht mit einem Ausdruck, der sagt „Schaut mich an, so sehe ich aus und ich bin schön!“

Erfreulich, dass es solche Bilder noch gibt, trotz des allgemeinen, medial gesteuerten Schönheitsideal-Wahnsinns, der Frauen dazu zwingt, möglichst dünn, haarfrei, puppenhaft, mainstreamkonform auszusehen! Die Frau auf dem Foto ist schon allein durch ihre positive Ausstrahlung und ihr Lächeln schön. Unter dem Bild sind jede Menge Kommentare, ich klicke sie aus reiner Neugierde an: „Da kriegt man Brechreiz“, „ein halber Affe“, „iiiiiiihhhh, das geht gar nicht“, gefolgt von zahlreichen knallgrünen Kotz-Smileys. Ich lese die Kommentare durch, entsetzt und auf der Suche nach einem einzigen wertungsfreien oder positiven Beitrag, einem einzigen Menschen, der sehen kann, was dieses Bild wirklich zeigt. Ich werde nicht fündig und entschließe mich in einem seltenen Anfall von Weltverbesserungswahn, meinen Senf dazuzugeben.

Ich frage die versammelten Kommentatorinnen, wer ihnen wohl das Recht gäbe, zu beurteilen, was „schön“ sei und was nicht. Genausogut hätte ich auch einen Sack voll Knallfrösche in einen Hühnerauslauf schmeißen können. Vor meinen Augen poppt ein buntlippiger Avatar auf, der gar nicht nachvollziehen kann, wieso ich mich über Häme, Hetze, Intoleranz und Oberflächlichkeit aufregen kann. Nennen wir die Kommentatorin an dieser Stelle einfach mal Buntlippen-Birgit.

Während Buntlippen-Birgit mit zahlreichen Rechtschreibfehlern gespickt nachfragt, ob ich etwa Mutter Theresa oder die Frau auf dem Bild sei, springt ihr eine weitere Kommentatorin – wir nennen sie Ochsenziemer-Silke – bei, die es völlig unverständlich findet, wieso ich es nicht lustig finde, über eklige behaarte Frauen zu lästern. Offensichtlich sei ich spießig und ginge zum Lachen mit Sicherheit in den Keller. Ich denke kurz darüber nach, wie praktisch es in meinem beruflichen Umfeld manchmal wäre, wenn ich spießig wäre, und versuche es noch einmal ernsthaft: Warum es nicht ok ist, anders Aussehende zu diskreditieren, bloß weil sie nicht dem aktuell gültigen Schönheitsideal entsprechen. Warum z.B. in der Werbung Frauen als defizitär dargestellt werden. Warum man Frauen einredet, sie müssten dieses oder jenes Produkt kaufen, um vermeintliche Defizite ausgleichen oder kompensieren zu können. Slipeinlagen, Anti-Falten-Creme, Schönheits-OPs. Es geht um Kommerz, es geht um Konsum. Die Fraktion der DM-Müller-Rossmann-Junkies versteht leider überhaupt nicht, was ich meine. Ochsenziemer-Silke erklärt mir wortgewandt, es ginge hier um die persönliche „Estheik“ und keinesfalls um Kommerz. Buntlippen-Birgit ergänzt, die Dame auf dem Bild solle es mal mit einem Rasierer von Rossmann versuchen. Freie Meinungsäußerung!

Ich kann mir eine gewisse Boshaftigkeit nicht verkneifen: „Wir leben in einem Land, in dem jeder seine freie Meinung äußern darf! Demnächst ist Wahl, und man kann sogar AfD wählen, ohne dass einem umgehend das Vakuum zwischen den Ohren implodiert!“

Während der Rest des Hühnerstalles vermutlich noch die Fremdworte in meiner Aussage googelt, ist Buntlippen-Birgit voller Begeisterung dabei und erklärt mir, wie toll es sei, dass wir in einer Demokratie leben und rechtsextreme Parteien wählen dürfen!

Mir geht dann doch der sprichwörtliche Gaul durch: „Genau! Es ist so super in unserer Demokratie, wir dürfen ungestraft und teils sogar bejubelt haltlose Dummheit verbreiten und anders Aussehende oder Andersdenkende fertigmachen, dürfen AfD wählen und und und! Du bist Deutschland, Du bist die Zukunft! Wer dafür ist, dass Homosexuelle in Zukunft wieder vergast werden, der möge doch AfD wählen!“

Vor meinem geistigen Auge sehe ich, wie der Hühnerstall die Kreuzchen auf dem Wahlzettel an der falschesten aller falschen Stellen macht, und könnte mich umgehend dafür ohrfeigen, dass ich überhaupt auf die bevorstehende Wahl hingewiesen habe. Ich muss unbedingt daran denken, rechtzeitig irgendeinen DM-Müller-Rossmann-Rabatt-Coupon in der Gruppe zu posten, der ausschließlich am Wahltag gilt.

Buntlippen-Birgit attestiert mir derweil „Aufmerksamkeitsdefizit, kurz ADHS“ und empfiehlt mir einen guten Friseur oder Psychiater, den ich vermutlich eines Tages wirklich brauchen werde – jedenfalls in einer Welt, in der Frauen andere Frauen dafür fertigmachen, nicht dem aktuell gültigen Schönheitsideal zu entsprechen und sich dafür gegenseitig noch Beifall klatschen.

Ich fürchte, in einer solchen Welt mag es sogar möglich sein, dass Homosexuelle AfD wählen… ob es wohl auch jüdische NSDAP-Wähler gab?

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