Ich schreibe Satiren. Natürlich rein fiktive. Alle meine Protagonisten/Protagonistinnen und Handlungen sind selbstverständlich völlig frei erfunden, denn im wahren Leben kann es die Begebenheiten, über die ich schreibe, natürlich so gar nicht geben.

Es ist schon ein ganzes Weilchen her, da habe ich mich satirisch mit der Thematik „Butch und Femme“ befasst und damit, dass es Genderfluide wie mich gar nicht geben kann; jedenfalls nicht, wenn man der Einstellung der selbsternannten einzig wahren Butches und Femmes folgt. Eigentlich hatte ich es schon fast vergessen, doch eine nette junge Redakteurin fand meinen satirischen Text fatalerweise in ihrem Archiv. Während ich ganz euphorisch mit meiner genderfluiden Geliebten durch die Berliner Nächte schwebte, wurde der Text also veröffentlicht.

Der Fluch der modernen Gesellschaft ist es, immer und überall erreichbar zu sein. Das blieb auch mir nicht erspart. Meine Handtasche gab explosionsartige Geräusche von sich, mein Handy hüpfte darin herum wie eine wildgewordene Horde Frösche zur Paarungszeit, denn offensichtlich war den selbsternannten einzig wahren Butches und Femmes langweilig – die Reaktionen auf meinen Artikel wären im Grunde einen Tatsachenbericht wert, aber da ich ja keine Tatsachenberichte schreibe, sondern rein fiktive Satire, denke ich mir an dieser Stelle einfach etwas aus:

Da stand er also, mein Artikel, verlinkt in einer Facebook-Gruppe, in der sich die selbsternannten einzig wahren Butches und Femmes tummeln, die Creme de la creme, die geistige Elite, die Krone der Schöpfung… Ja, ich gebe zu, ich bin aus der Gruppe geflogen. Weil ich mich nun mal nicht als rein Femme oder rein Butch definieren lasse, sondern genderfluid bin. Äh, wäre aus der Gruppe geflogen, wenn meine Geschichte an dieser Stelle nicht rein fiktiv wäre…

Jedenfalls meldete sich gleich zu Anfang die allwissende Admina blumig zu Wort, die kommentierte, ich sei lediglich sauer, weil ich meine Feld-Wald-Wiesen-Lesben-Geschichten nicht in ihrer Gruppe hätte vermarkten können und es sei mich niemand angegangen, sie habe extra darauf geachtet. Hm. Ich erinnere mich noch gut an die neue Schublade „schizophren“, die mir in ihrer Gruppe verpasst wurde. Eigentlich mochte ich die Schublade ganz gern, erlaubt eine gewisse Narrenfreiheit und außerdem kann man darin so hübsch genderfluid sein. Ach ja, gibt es ja gar nicht. Genderfluid. Jedenfalls nicht, wenn man der Einstellung der selbsternannten einzig wahren Butches und Femmes folgt.

Und meine Geschichten? Feld-Wald-Wiese? Seltsam, an anderer Stelle war mir schon unterstellt worden, meine erotischen Geschichten seien viel zu heteronormativ, weil meine Protagonistinnen oft eine „klassisch maskuline-feminine Rollenverteilung“ aufweisen. Hm. Na wie denn nun…? Wald oder Wiese oder hetero…? Wer ist denn nun schizophren…?

Ach ja, hetero! Das sei ich ja sowieso, schreibt zumindest die ätherische Sandy Femme-Elfe, von der ich mich immer noch frage, ob ich sie nun mit dem allwissenden rosa Elefanten oder mit Frau Leutheusser-Schnarrenberger assoziieren soll. Jedenfalls bin ich länger damit beschäftigt, ihre Aussage zu begreifen. „Sie lebt den Genderfluid (sofern es das gibt)…“ – sofern es das gibt? Und was genau ist nun „der Genderfluid“? Mir hat sich der gute Mann noch nicht vorgestellt. Vielleicht der Herr Genscher? Der sagt mir was. Aber der Genderfluid…? Ich bin etwas verwirrt, werde aber ein Stück weiter unten gleich aufgeklärt, woran das liegen könnte.

Ja klar – ich bin hetero! Jedenfalls weiß Sandy Femme-Elfe das ganz genau. Während meine Geliebte neben mir genüsslich an ihrem Bier nuckelt und sich breitbeinig auf dem Barhocker sitzend den Lippenstift nachzieht, lese ich weiter.

„Meiner Ansicht nach ist sie ne hete (verheiratet und kleine kinder), die eben ab und an ne Frau vögelt oder sich vögeln lässt… und weil mit Strap und diesen eben jeder mal anzieht… zack ist man Genderfluid. (hetero mit hang zu lesbischem (und ich sage bewußt lesbisch) Sex klingt glaub ich einfach zu banal für sie)….“

An dieser Stelle bin ich froh, dass meine Satiren rein fiktiv sind, denn im wahren Leben müsste ich jetzt die Stirn auf die Theke knallen. Ich denke kurz darüber nach, ob ich meine Geliebte, die sich seit über 30 Jahren beruflich mit der Thematik befasst, fragen soll, ob lesbische Frauen, die sich von einer Frau mit Strap-on befriedigen lassen, eigentlich verkappte Heteras seien, lasse es dann aber lieber bleiben. Ich befürchte, sie spuckt ihr Bier sonst der Barkeeperin ins Dekolleté.

Ich werfe das Handy wieder in die Handtasche, aber die Frösche wollen sich einfach nicht beruhigen. Revolution! Fatma Rothemdsärmel meldet sich zu Wort, dass es auch in ihren Augen „genderfluid“ nicht geben kann. Wie gut, dass es Menschen gibt, die sich mit der ganzen Genderthematik so gut auskennen, ich hab das bis heute nicht verstanden. Ich überlege, ob ich Fatma Rothemdsärmel vielleicht für den Nobelpreis vorschlagen soll. Aber welche Kategorie? Unsinn oder Wahnsinn?

Der allwissende rosa Elefant hat nun auch die passende Nische gefunden und trägt zur Aufklärung der Genderthematik bei, gefolgt von der Frau Althaus mit dem sonnigen Gemüt, die fachmännisch konstatiert, meine Mutti sei auch etwas seltsam gewesen, das läge wohl in der Familie. Ich denke kurz darüber nach, woher sie meine Mutter, die bereits vor vielen Jahren in der Non-Facebook-Ära verstorben ist, wohl kennen könnte…

Während ich noch überlege, fange ich den Blick meiner Geliebten auf, die mittlerweile so aussieht, als würde sie mein Handy jede Minute in ihrem Bierglas ertränken. Ich zucke entschuldigend die Achseln, lasse die Frösche Frösche sein und ertrinke lieber in ihrem Kuss.

Vielleicht schreibe ich irgendwann mal eine Satire über das Thema.

Rein fiktiv, selbstverständlich.

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